02.10. Der leise Abschied einer Macherin
Nach 41 Jahren im Schuldienst geht „Vollblutlehrerin“ Katrin Niekrawietz in den Ruhestand. Wie sie dem Lessing-Gymnasium Döbeln dennoch erhalten bleibt.
Die achte Stunde im Döbelner Lessing-Gymnasium ist herum. Die Elftklässler verlassen das Klassenzimmer, die meisten nach dem langen Schultag aufgedreht, zügig, einige bedächtig und manche wünschen Katrin Niekrawietz, der scheidenden Fachleiterin gesellschaftswissenschaftlicher Bereich, alles Gute.
Diese hält kurz inne, appelliert an einige der Jugendlichen, weiter durchzuziehen, und stellt nachdenklich einen Stuhl auf den Tisch. Praktisch die letzte Amtshandlung der 64-Jährigen im Klassenraum, bevor sie in den wohlverdienten Vorruhestand geht.
Zeit sich auf diesen Moment vorzubereiten hatte sie zumindest einen Tag, denn die offizielle Verabschiedung durch Schulleiter Michael Höhme, Oberbürgermeister Sven Liebhauser (CDU) und Fördervereinschef Reinhardt Zerge fand bereits am Vortag statt.
Katrin Niekrawietz verbindet mit dem Döbelner Lessing-Gymnasium eine lange Geschichte. Die gebürtige Döbelnerin legte ihr eigenes Abitur an der damaligen EOS ab, um danach an der Pädagogischen Hochschule in Leipzig Deutsch und Geschichte zu studieren. Mit dem Schulstart 1984 arbeitete sie an der Allende-Oberschule in Großweitzschen und wechselte 1991 als Lehrerin ans Lessing-Gymnasium Döbeln (LGD). Seit 2013 fungiert sie zudem als Fachleiterin für den gesellschaftswissenschaftlichen Bereich.
Das sind zusammengefasst 41 Dienstjahre, 34 Jahre am LGD und zwölf Jahre als Fachleiterin. „Ich war gerne Lehrerin und bis zum Schluss mit voller Leidenschaft, denn ich wollte immer Lehrerin sein“, resümiert Katrin Niekrawietz diese lange Zeit und fügt an: „Und auch die letzten beiden Stunden, die ich Vertretung gegeben habe, waren schön.“ Dass damit praktisch Schluss ist, mit dem Berufsleben, werde ihr wohl erst dann bewusst, wenn sie nicht mehr in die Schule müsse. Vor allem den Blick auf den Vertretungsplan werde sie dann am wenigsten vermissen.
Bei manchen würden Dienstjahre dahinplätschern, bei anderen seien diese angefüllt mit Ideen und Projekten. „Katrin gehört definitiv in die letzte Rubrik. Tatendrang, Engagement, mit Herzblut für die Schule, Macher-Qualitäten – das sind Schlagwörter, die mir zu ihr einfallen“, sagt Michael Höhme. Unzählige Geschichtsklassen und -kurse seien durch sie unterrichtet worden, darunter viele Leistungskurse. Die lagen ihr besonders am Herzen, wurden geschichtswissenschaftlich ausgebildet, Projekte inbegriffen. Der Anspruch an ihre Schüler war immer: Wir wollen nicht Durchschnitt sein, sondern etwas Besonderes schaffen.
Geschichte sollte für Schüler fassbar sein. Das erreiche man am besten, wenn sich Schüler mit der Geschichte ihrer Heimat, ihrer Stadt befassen. Und Katrin Niekrawietz setzte dies mit den verschiedensten Forschungsprojekten um, für die es auch Preise gab. „Ich glaube, es ist nicht übertrieben, wenn man sagt: Hier spielte jemand in der Champions-League“, sagt Höhme.
Weitere Leuchtturmprojekte von Katrin Niekrawietz seien der „Lauf mit Herz“, aber auch der „Ballathon“. Viele Aktivitäten von ihr seien ein Segen für das LGD, aber auch für die Stadt Döbeln gewesen. So auch das praktische Leben von Städtepartnerschaften, für die schulische Begegnungen ein Motor sein können, so Höhme.
Für das Lessing-Gymnasium und seinen Traditions- und Förderverein war Katrin Niekrawietz in vielerlei Hinsicht Dreh- und Angelpunkt. Schon viele Jahre zeigt sie sich für das Schulmuseum und das Vereinsarchiv zuständig. Außerdem wird die Schulchronik von ihr geführt.
Nun wurde Katrin Niekrawietz zwar endgültig aus der Schulpflicht entlassen, aber das eröffnet ihr auch neue Möglichkeiten, wie sie sagt. Vom Unterricht, auch in Vertretung, werde sie aber lassen, das sei für sie eine wichtige Zäsur. „Alles hat seine Zeit und jetzt beginnt eine Zeit nach dem Unterricht, die ich unabhängig mit der Familie selbst gestalten will, ohne von den Ferien abhängig zu sein“, sagt Katrin Niekrawietz, die aber dennoch von einem Unruhestand spricht, der sie erwartet. Denn unter anderem wird sie dem Förderverein „ihres” Lessing-Gymnasiums erhalten bleiben.
Döbelner Anzeiger
Dirk Westphal
02.10.2025
Frau „Lauf mit Herz“ geht in den Ruhestand
Katrin Niekrawietz geht nach 41 Jahren im Schuldienst, nach 34 Jahren am Lessing-Gymnasium in den Ruhestand. Auch als Organisatorin des „Lauf mit Herz“ hat sie das Gesicht der Schule in der Öffentlichkeit geprägt. Warum der leidenschaftlichen Lehrerin der Abschied jetzt nicht schwerfällt.
Vielleicht hat Katrin Niekrawietz die letzten Nächte etwas unruhig geschlafen. Gestern hatte die 64-Jährige ihren letzten Arbeitstag, am Montag in der Mittagspause bereits die große Verabschiedung aus dem Kollegenkreis. Mehr als vier Jahrzehnte lang hat die Döbelnerin Kinder und Jugendliche in Deutsch und Geschichte unterrichtet, 34 Jahre davon am Lessing-Gymnasium in ihrer Heimatstadt. Jetzt kehrt Ruhe ein.
An der Schule, an der Katrin Niekrawietz noch zu DDR-Zeiten selbst gelernt und sich früh für den Job als Lehrerin entschieden hat, hinterlässt die immer noch jugendlich wirkende Pädagogin viele Spuren. Sie hört das nicht gern. Katrin Niekrawietz, für die Schule mehr als Unterricht ist, steht ungern im Mittelpunkt. Was sie in den letzten Jahrzehnten abseits ihres Schulauftrages geleistet hat, ist für sie selbstverständlich.
Ihr Name wird trotzdem immer verbunden sein mit der Geschichte des Lessing-Gymnasiums und der Entwicklung der Schule nach der politischen Wende. Auch, weil sie mit ganz vielen außerschulischen Projekten das Erscheinungsbild der Schule in der Öffentlichkeit maßgeblich mitgeprägt hat.
Katrin Niekrawietz wollte schon immer Lehrerin werden. Wobei, „Bibliothekswissenschaften hätte ich auch gern studiert.“ Sie liest gern, Deutsch ist ihr Lieblingsfach, anfangs auch als Lehrerin. Nach dem Studium würde die inzwischen junge Mutter gern in Döbeln arbeiten, wird aber der Oberschule in Großweitzschen zugeteilt. An der Landschule, an der sie zur Wende stellvertretende Schulleiterin ist, gefällt es ihr.
An der Erweiterten Oberschule in Döbeln braucht Direktor Konrad Kindermann nach der Wende junge Lehrer. Schon 1990 fragt er Katrin Niekrawietz an. Doch mit der Aussicht auf 100 Prozent Geschichtsunterricht lockt er die Lehrerin für Deutsch und Geschichte, die sich wohl fühlt in Großweitzschen, damals nicht. Ein Jahr später entscheidet sie sich dann doch für den Wechsel – auch, weil sie vor allem Deutsch unterrichten darf.
Geschichte zu unterrichten ist zu dieser Zeit eine besondere Herausforderung. Schule generell. Der Neubeginn am Lessing-Gymnasium ist spannend. Es gibt viele Fragen für die vielen jungen Leute, die nach der Revolution und dem Systemwechsel Schule mitgestalten sollen. „Das war eine ganz herausfordernde Zeit“, erinnert sich Katrin Niekrawietz. „Diese Riesenschule, die sich geöffnet hat und manchmal siebenzügig war - wie funktioniert das? Es gab plötzlich zig Schulbuchverlage und Zusatzmaterialien. Und wir konnten Unterricht viel selbstbestimmter gestalten.“ Die Chance, selbst Ideen zu entwickeln, der Umgang mit Freiheit, kritischere Schüler – Katrin Niekrawietz‘ Arbeitsalltag ist schon damals alles andere als Routine.
Eine der größten formellen Veränderungen zu dieser Zeit ist die Einführung der Kursstufe. Katrin Niekrawietz ist damals Leiterin einer siebenten Klasse mit ausschließlich Mädchen. Bei der Vergabe der Geschichts-Grund- und Leistungskurse bleibt sie wie die anderen ostdeutschen Pädagogen zunächst außen vor. Als der verantwortliche Kollege aus dem Westen ein Jahr vor dem ersten Zentralabitur 1994 dann das Handtuch wirft und die Schule verlässt, beginnt für Katrin Niekrawitz eine abenteuerliche Zeit. Sie übernimmt den ersten Kurs, der das schriftliche Abitur ablegen muss, begleitet unzählige Prüfungen.
Dass Kollegen unken, ihr zweiter Vorname sei Struktur, stört Katrin Niekrawietz nicht. Die sportliche Frau, die hier in Jeans und schwarzem Rollkragenpulli in ihrem Zimmer sitzt, ist leidenschaftliche Lehrerin, Struktur ist ihr auch in ihrem Unterricht wichtig. Sie muss nicht laut werden, um sich Gehör zu verschaffen. Immer wertschätzend, ergebnisorientiert, fordernd – so hat sie sich eingesetzt für ihre Schülerinnen und Schüler, als Lehrerin und immer auch als Mensch.
Ihr ist es wichtig, dass die ihr anvertrauten jungen Menschen einen guten Abschluss machen. Es müssen Tausende gewesen sein in den zurückliegenden Jahrzehnten, die sie auf ihrem Weg begleitet hat. Katrin Niekrawietz war 38 Jahre lang immer Klassenlehrerin oder Tutorin. Ihren letzten Jahrgang hat sie 2022 zum Abitur geführt. So erfahren und routiniert sie war: Als alltäglich hat sie ihren Alltag nie empfunden.
Für Katrin Niekrawietz ist Schule mehr als Unterricht. Sie nutzt die Perspektiven, die sich ihr bieten, unterrichtet auch den Wahl-Grundkurs Jüdische Geschichte und Kultur. „Ich wollte keine Routine.“ Deshalb sucht sie sich Betätigungsfelder außerhalb ihres Schulauftrages. Jede Menge. Untrennbar ist ihr Name mit den Begriffen Ballathon, Lauf mit Herz, Ganztagsangebot (GTA) verbunden. Ende der 90er Jahre greift sie den Impuls ihrer Schüler auf: „Wir wollen mal etwas Anderes machen.“ Es ist die Geburtsstunde der Kreaktiv AG, die seit dem ungezählte außerunterrichtliche Veranstaltungen mit und für Schüler organisiert hat.
Neben dem Ballathon, einer langen Ballspielnacht, ist der Lauf mit Herz zugunsten des Dresdner Vereins Sonnenstrahl, der krebskranke Kinder und deren Familien unterstützt, eines der zentralen Projekte, das weit über die Grenzen der Schule hinaus strahlt. Seit 2000 organisiert Katrin Niekrawietz Jahr für Jahr mit ihrem Team die Laufveranstaltung, die Hunderte in Döbeln auf die Beine bringt.
Die Verantwortung dafür hat sie vor zwei Jahren abgegeben. Mit einem guten Gefühl, weil sie sich Zeit für eine geordnete Übergabe genommen hat. Die Kontakte zu den vielen Partnern, die sie in den zurückliegenden Jahren außerhalb der Schule auf ihrem Weg begleitet haben, bleiben. Sie weiß sie zu schätzen und ist dankbar dafür. Vielleicht wird sie all die Wegbegleiter ein wenig vermissen. Weil sie seit 2012 auch die Ganztagsangebote am Gymnasium verantwortet und die vielen außerschulischen Angebote dafür zusammengetragen hat, sind es viele. Schule aktiv mitgestalten zu können, hat Katrin Niekrawietz immer begeistert. „Die einzige Kontinuität ist die Veränderung“, sagt sie und lächelt. Sie ist froh, dass ihre Schulleitung ihr immer den Raum gegeben hat, selbstverantwortlich in ihren Projekten arbeiten zu können. Mit Leidenschaft hat sie in ihren Geschichtsprojekten mit Schülern beispielsweise zu Döbelner Denkmälern geforscht, ist mit ihnen auf Reisen in die Partnerstädte gegangen, erlebt „Sternstunden für einen Geschichtslehrer“ bei der Zusammenarbeit mit den Döbelner Heimatfreunden.
Großes Aufheben um ihren nun beginnenden Ruhestand macht Katrin Niekrawietz nicht. Eine Weltreise stehe nicht an. „Ich kann meine Freizeit sehr gut gestalten“, sagt sie und zeigt wieder ihr manchmal ein wenig erstauntes Lächeln. Mehr Sport will sie machen und unterwegs sein. Wieder mehr lesen. Zwei Enkel gibt es. Und im Förderverein des Gymnasiums, in dem sie seit über 20 Jahren aktiv ist, wird sie noch ein bisschen weiter mitarbeiten, sagt sie. Ganz die Hände in den Schoß legen kann sie nicht. „Wer rastet, der rostet. Und ich will nicht rosten.“ Das große Abschiednehmen, das mit dem Ende ihres Berufsalltags unweigerlich verbunden ist, ist allerdings nichts für Katrin Niekrawietz.
Sie geht nicht, weil sie erschöpft wäre vom Schuldienst. Ein Jahr hat sie dran gehangen. Sie blickt wohlwollend zurück, auch dankbar. Obwohl er gewollt ist, dieser Abschluss jetzt fällt ihr nicht leicht. „Ich habe die Tage nicht runtergezählt. Aber mein Kopf und Verstand sagen, dass es eine Zeit nach der Arbeit gibt.“ Zwei Monate hat sie jetzt noch zusätzlich gemacht, weil es ihr wichtig war, alle ihre Aufgaben und Projekte gut vorbereitet und geordnet übergeben zu können. „Alles hat seine Zeit“, sagt sie. Und freut sich auf die, die jetzt kommt.
Ihre letzten beiden Stunden gestern? Vertretung Klasse 11 in der siebenten und achten Stunde. Geschichtsunterricht. Unaufgeregt. Vielleicht kann es für Katrin Niekrawietz nach 41 Jahren keinen besseren Abschluss geben.
Döbelner Allgemeine Zeitung
Manuela Engelmann-Bunk
01.10.2025











