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07.03. Für Wassim lohnt sich das Lernen besonders

14-jähriger Syrer ist Schüler am Döbelner Lessing-Gymnasium und jetzt auch erfolgreicher Stipendiat der START-Stiftung.

Herz- oder Neurochirurg würde Wassim Shahood gerne werden. So klar wie sein Berufswunsch gerade ist, so zielstrebig ist der 14-Jährige Gymnasiast auch. Kaum vorstellbar ist , dass Wassim vor reichlich fünf Jahren noch kein Wort deutsch sprechen konnte und er an der Döbelner Kunzemann-Grundschule deshalb auch den einen oder anderen Witz auf seine Kosten ertragen musste. Heute ist Wassim Schüler des Lessing-Gymnasiums Döbeln und seit neuestem Stipendiat einer großen Stiftung. Er gehört zu 35 weiteren sächsischen Schülerinnen und Schülern mit Einwanderungsgeschichte, die den anspruchsvollen Auswahlprozess der Frankfurter START-Stiftung gemeistert haben. In diesem Schuljahr wählte die Stiftung 18 Jugendliche aus Sachsen für ihr dreijähriges Bildungs- und Engagementstipendium aus.

Wassim (14) ist nicht nur ein guter Schüler. Er spielt Gitarre, Schach und zeichnet Karikaturen. Foto: Sven Bartsch

Wassims Familie lebte ursprünglich im Bürgerkriegsland Syrien. Der Vater schlug sich 2015 nach Deutschland durch und holte 2017 seine Frau und die beiden Söhne Wassim und Anas nach Döbeln. Während der Agraringenieur hier als Postzusteller arbeitet und seine Frau als Schulassistentin an der Kunzemann-Grundschule, machten die beiden Jungen als gute Schüler und als gute Schachspieler von sich reden. Anas hatte sich nach einem Tipp seiner Klassenleiterin Sandra Völs vor zwei Jahren erfolgreich um das START-Stipendium beworben. Der 16-Jährige wurde zwischenzeitlich an einer Spezialschule aufgenommen, wo er sein Abitur macht. Wassim erzählt sichtlich stolz von seinem zwei Jahre älteren Bruder. Er bewarb sich ebenso erfolgreich um das Stipendium.
Ziel des Stipendiums ist es, die Integration von Jugendlichen mit Einwanderungsgeschichte zu fördern und ihnen eine Chance auf eine akademische Bildung zu ermöglichen. Wassim gehört jetzt zu den bundesweit 190 Stipendiaten dieses Jahrganges. Die nächsten drei Jahre stehen ihm zahlreiche Workshops zu gesellschaftsrelevanten Themen, erlebnispädagogische Angebote und ein digitaler Campus zur Verfügung. Doch das Stipendium gibt es nicht umsonst. Voraussetzung für die Aufnahme in das Programm ist nicht nur eine Einwanderungsgeschichte. Die Bewerberinnen und Bewerber müssen mindestens 14 Jahre alt sein, die 8. Klasse beendet und noch drei Jahre Schule vor sich haben. Neben diesen formalen Kriterien ist vor allem die Bereitschaft zum gesellschaftlichen Engagement entscheidend für die Aufnahme in das Programm. Am Ende soll dann möglichst ein eigenes gemeinnütziges Projekt stehen.

Von ihren Ideen und Visionen müssen die Jugendlichen die Jury in einem anspruchsvollen, zweistufigen Auswahlprozess überzeugen. Wassim wurde zu mehreren Online-Gesprächsrunden im Auswahlverfahren eingeladen. Dabei sprach er zu Themen wie Rassismus und zur Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft. Wassim spielt Schach und Gitarre, besucht die Döbelner Musikschule und zeichnet Karikaturen. Die Idee, diese auszustellen und damit niederschwellig auf das Thema Rassismus im Alltag hinzuweisen, gefiel der Jury. Auch Michael Höhme, Schulleiter des Lessing-Gymnasiums bot Wassim bereits an, Karikaturen von ihm auch auf der Schulhomepage zu zeigen.
Seit Schuljahresbeginn ist Wassim nun im START-Stipendium und kann sich landes- und bundesweit mit den anderen Stipendiaten vernetzen und austauschen. „Unter den neuen Kontakten sind viele junge Leute aus dem nahen Osten, russisch sprachige Teilnehmer. Auch ein Mädchen aus Leisnig mit rumänischen Wurzeln ist im Programm.
Neben den vielfältigen Angeboten erhalten alle Stipendiatinnen und Stipendiaten jährlich 1000 Euro Bildungsgeld. Wassim könnte Fachbücher oder Material für seine Karikaturen kaufen. „Ich spare, falls ich mal etwas Größeres brauche“, sagt er.

Döbelner Allgemeine Zeitung
Thomas Sparrer
07.03.2023


Wassim aus Syrien hat noch viel vor

Wassim Shahood ist als Neunjähriger mit seinen Eltern nach Deutschland geflohen. Er spricht inzwischen besser Deutsch als Arabisch.
Es gibt nicht viele junge Leute, die es zu einem Stipendium der Start-Stiftung in Frankfurt bringen. Voraussetzung sind eine Einwanderungsgeschichte – und gute Leistungen. 35 Schüler sind es in Sachsen, die das Auswahlverfahren gemeistert haben. Einer ist Wassim Shahood, der die 9. Klasse im Döbelner Lessing-Gymnasium besucht.
Mit neun Jahren war der heute 14-Jährige mit seiner Mutter und dem älteren Bruder Anas nach Döbeln gekommen. Sein Vater war schon bei der großen Flüchtlingswelle 2015 dabei. Er holte Frau und Kinder knapp zwei Jahre später nach.

Wassim Shahood besucht die 9. Klasse des Lessing-Gymnasiums. Er hat aufgrund seiner guten Leistungen das Auswahlverfahren der Start-Stiftung in Frankfurt gemeistert. Und er hat noch mehr vor. Foto: Dietmar Thomas

Die Familie wohnte in einer kleinen Stadt in Syrien, erzählt Wassim. Den Krieg hatten die Eltern versucht, von den Kindern fernzuhalten. „Wenn es irgendwo krachte, sagten sie, es ist Feuerwerk“, erinnert er sich. Der Vater ging dann nach Deutschland. Fast zwei Jahre war das Handy die einzige Verbindung, bis die Familie in Deutschland Wiedersehen feierte.
Für den Jungen und seinen Bruder war das eine völlig neue Welt. Eine neue Sprache, eine neue Schule, neue Freunde. Der Vater sorgte mit für die Turbo-Integration seiner Söhne. „Wir haben jeden Tag 50neue deutsche Wörter gelernt. Das war hart“, erinnert sich Wassim. Das sorgte aber dafür, dass er an der Kunzemannschule einen Test bestand und gleich in der vierten Klasse weitermachen durfte. Auch auf dem Gymnasium besuchte Wassim noch die sogenannte DaZ-Klasse, nahm in den meisten Fächern aber schon am normalen Unterricht teil.
Mittlerweile spricht Wassim perfektes Deutsch. Besser als Arabisch, wie er meint. „Das reicht gerade für den Alltag.“ Mit den Eltern unterhält er sich auf Arabisch, mit seinem älteren Bruder aber auf Deutsch. In seiner Freizeit zeichnet er gern. „Ich spiele auch Schach, wenn auch nicht so gut wie mein Bruder.“ Und er spielt Gitarre. Vorher hatte er Flötenunterricht an der Musikschule, erzählt er.
Als Stipendiat der Start-Stiftung hat der 14-Jährige drei Jahre lang die Möglichkeit, eine ganze Reihe von Veranstaltungen in einem Bildungsprogramm zu besuchen. Dabei geht es um Themen wie Gesellschaft, Demokratie, Kommunikation, Zusammenarbeit und Persönlichkeitsentwicklung. Die erste Veranstaltung habe in Berlin stattgefunden, erzählte Wassim. Die hatte sich um Geschichte und die Wende gedreht. Es gab auch schon einen kulinarischen Nachmittag, bei dem es um Speisen und Kultur aus anderen Länder ging. Wassim reiste zu einem Kurs für Selbsterkenntnis nach Baden-Württemberg und besuchte mit anderen Schülern das Theater in Coburg. Sich mit anderen auszutauschen, ist einer der Aspekte, der für den Döbelner spannend ist. Bei den Treffen kommen junge Leute aus aller Herren Länder zusammen. „Viele haben die gleiche Geschichte und man lernt Leute kennen, die man sonst nie getroffen hätte.“
Es gab schon einige Schüler am Lessing-Gymnasium, die das Stipendium der Start-Stiftung nutzen konnten, sagte Schulleiter Michael Höhme. Darunter auch Wassims zwei Jahre älterer Bruder Anas, der dem jungen Syrer ein Vorbild ist. Anas besucht das internationale Robert Bosch College in Freiburg, um dort das Abitur abzulegen. Sein jüngerer Bruder will sich auch bewerben. „Dafür muss ich mich aber verbessern“, erzählt der. „Ich habe jetzt Durchschnitt 2,0, will aber auf 1,5 kommen.“ Die naturwissenschaftlichen Fächer liegen dem Neuntklässler besonders. Auch Englisch mag er. Latein ist seine zweite Fremdsprache. Seinen Berufswunsch teilt er mit seinem Bruder. Anas will Arzt werden, Wassim auch. Sie haben ein gemeinsames Vorbild: „Unser Onkel in Syrien war Arzt.“
Seit Wassim in Deutschland ist, hat er sein Heimatland nicht wiedergesehen. Er kann sich auch nicht vorstellen, dorthin zurückzukehren, zumal die Sicherheitslage immer noch unsicher ist.

Döbelner Anzeiger
Jens Hoyer
07.03.2023