07.06. Zwischen den Zeilen

Bestseller-Autor Bernhard Schlink liest vor und diskutiert mit Schülerinnen und Schülern des LGD

Der Besuch des bekannten Schriftstellers hat eine längere Vorgeschichte. Vermittelt durch seinen Freund Axel Schmidt-Gödelitz wollte Bernhard Schlink eigentlich schon 2019, im Jahr des 150. Schuljubiläums, das Lessing-Gymnasiums besuchen. Aus Krankheitsgründen musste der Besuch leider ausfallen. Ein neuer Termin war schon im Blick, als die Corona-Pandemie längere Zeit das Land lähmte. Danach stand zu befürchten, dass die freundliche Zusage vielleicht verjährt oder das Döbelner Gymnasium aus dem Blick geraten ist. Nicht so bei Bernhard Schlink. Was einmal versprochen wurde, wird gehalten.

Gespannt warteten ca. 200 Schülerinnen und Schüler der 10. und 11. Klassen am Freitag vor Pfingsten in der Aula der Schule auf den prominenten Gast. Lesungen an Schulen macht Bernhard Schlink regelmäßig – aber wohldosiert. Eine Schule im Jahr wird ausgewählt – Anfragen gibt es natürlich viel mehr. Auch an solchen Details wurde uns schnell das deutlich, was wir schon ahnten. Der Besuch ist ein glücklicher Umstand, ein kostbares Geschenk für Döbeln und für unser Gymnasium.

Natürlich hatten wir uns vorbereitet. Die Schülerinnen und Schüler der 10. und 11. Klassen haben sich längere Zeit im Vorfeld mit dem literarischen Werk Schlinks befasst. Die 10er sahen sich die bekannte Hollywood-Verfilmung des „Vorlesers“ an und beschäftigten sich mit den unterschiedlichen Themen rund um die ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen den beiden zentralen Protagonisten Michael Berg und Hanna Schmitz. Der 1995 erschienene Roman wurde in über 50 Sprachen übersetzt. Als erstes deutsches Buch erreichte „Der Vorleser“ Platz 1 der New-York-Times-Bestsellerliste. 2008 wurde das Buch mit Kate Winslet, Ralph Fiennes und David Kross in den Hauptrollen verfilmt.

Ein Deutsch-Leistungskurs der 11er hatte zudem „Die Enkelin“, einen 2021 erschienenen Roman Schlinks, gelesen. Die Schülerinnen und Schüler wählten gemeinsam mit ihrem Deutschlehrer Tommy Greim diesen Text aus, weil er das schwierige Verhältnis zwischen dem Osten und dem Westen Deutschlands thematisiert. Der Klappentext weckte das Interesse der Schüler: „Birgit ist zu Kaspar in den Westen geflohen, für die Liebe und die Freiheit. Erst nach ihrem Tod entdeckt er, welchen Preis sie dafür bezahlt hat. Er spürt ihrem Geheimnis nach, begegnet im Osten den Menschen, die für sie zählten, erlebt ihre Bedrückung und ihren Eigensinn. Seine Suche führt ihn zu einer völkischen Gemeinschaft auf dem Land - und zu einem jungen Mädchen, das in ihm den Großvater und in dem er die Enkelin sieht. Ihre Welten könnten nicht fremder sein. Er ringt um sie.“

Gemeinsam bereitete der Kurs die Veranstaltung mit Bernhard Schlink akribisch vor. Ein durchdachter Ablauf wurde zusammengestellt und die Aula für das Autorengespräch präpariert. Kyra und Juliane, die die Moderation der Veranstaltung übernahmen, hatten sich Fragen und Moderationstexte überlegt. Nach einer kleinen Vorstellungsrunde las Bernhard Schlink ein Kapitel aus seinem Roman „Die Enkelin“. In einem anschließenden Gespräch mit den beiden Moderatorinnen ging es dann vertieft um die Intention des Romans, auch um die Frage, wie Bernhard Schlink zu den Ideen für seine Bücher kommt. Auch vielleicht eher randständige Details, wie die Frage, wer das Cover für das Buch ausgesucht hat und wie es der Autor selbst findet, kamen zur Sprache.

Fast eine ganze Stunde nahm sich Bernhard Schlink im Anschluss Zeit, um Fragen aus dem Publikum zu beantworten. Die gab es reichlich. Der Schriftsteller wurde gefragt, ob ihm eine Figur aus einem Roman besonders ans Herz gewachsen ist, was er von der Verfilmung seines Bestsellers „Der Vorleser“ hält und ob er literarische Vorbilder hat. Natürlich ging es auch um gesellschaftliche Fragen. Der Roman „Die Enkelin“ behandelt das Milieu völkischer Siedler und die Gefahren, die vom Rechtsextremismus ausgehen. In diesen Phasen des Gesprächs spricht Schlink sein jugendliches Publikum direkt an, mahnt, dass es nicht ausreicht, gesellschaftliche Missstände zu beklagen, dass man sich einbringen muss, durchaus auch politisch. Das wäre manchmal mühselig, aber seiner Meinung nach die einzige Chance, wie wir die Demokratie in unserem Land erhalten können. Wichtig ist Schlink auch, dass wir in der Diskussion nicht zu schnell die Geduld verlieren. Ihm fällt eine Episode mit seiner Mutter ein, die er als Kind beim Einkaufen in Heidelberg begleitete und die ihn fragte, was gerade in der Schule behandelt wird. Der Zehnjährige antwortete kurz angebunden, dass das zu kompliziert wäre, um es ihr zu erklären. Die Mutter reagierte nicht düpiert, sondern erklärte ihm, dass es im Leben nicht nur darum geht, viel zu wissen, sondern, dass man es auch anderen erklären können muss. Ziele kann man oft nur gemeinsam mit anderen Menschen erreichen. Miteinander reden, mit Geduld und ohne gleich Menschen zu verurteilen, die nicht derselben Meinung sind, scheint Schlink auch heute noch ein gutes Rezept für unsere gespaltene Gesellschaft zu sein.

Gefragt, was er Schülerinnen und Schülern empfehlen würde, die auch gern schreiben wollen, empfiehlt er, sich in seiner Lektüre häufiger aus der „Komfortzone“ herauszubewegen. Schlink weiß, dass Jugendliche gern Fantasy-Romane lesen. Das ist seiner Meinung nach auch nicht schlecht, aber, wer seinen eigenen Stil entwickeln will, muss sich auch der Weltliteratur, den Klassikern zuwenden.

Bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Schülerinnen und Schüler, die die Chance hatten, Bernhard Schlink kennenzulernen, nunmehr auch zu seinen Büchern greifen. Die Gelegenheit ist günstig, die Sommerferien stehen vor der Tür.

Michael Höhme